Mareike Transfeld: "Der Jemen-Krieg: Ein Nationalstaat zerfällt"
Mit den aktuellen Entwicklungen wird es immer schwieriger, eine politische Lösung im Rahmen eines einheitlichen Nationalstaats zu finden. Auch wenn derzeit eine politische Lösung schwierig erscheint, muss das Leid der Menschen im Mittelpunkt des Lösungsansatzes der internationalen Gemeinschaft stehen.
Der Krieg im Jemen spitzt sich weiter zu. Der Machtanspruch der international anerkannten Regierung unter Hadi existiert nur noch nominell. Im Süden übernimmt ein Übergangsrat die Funktionen der Regierung. Im Norden haben seit dem Tod des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh im Dezember 2017 die Huthis die Alleinherrschaft übernommen. Ein einheitlicher jemenitischer Staat wird kaum zu erhalten sein. Der UN-Sondergesandte tritt mit dem Ende seines Mandats diesen Monat zurück; seine Nachfolgerin oder Nachfolger steht vor einer beinahe unlösbaren Aufgabe. Um eine Wiederbelebung der politischen Gespräche möglich zu machen, muss die internationale Gemeinschaft zunächst ein neues Gesprächsformat finden. Dieses muss die tatsächlichen Machtverhältnisse im Jemen anerkennen.
In den letzten Monaten eskaliert die Gewalt im Jemen ungebremst. Die ohnehin schon untragbare humanitäre Situation spitzt sich dadurch weiter zu. 22 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, damit ist der Jemen die schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit. In einem Land, in dem 90 Prozent aller Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff importiert werden und die Wasserversorgung von Dieselimporten abhängig ist, erschwert eine von Saudi-Arabien eingerichtete Land-, See- und Luftblockade den Menschen den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern erheblich. Der Großteil der Jemenitinnen und Jemeniten lebt ohne Stromversorgung, das Gesundheitssystem funktioniert nur noch rudimentär und das Bildungssystem droht zu kollabieren. Seit Ende 2016 werden Gehälter von Staatsangestellten nicht mehr gezahlt, was 1,2 Millionen Familien, jede mit einer durchschnittlichen Größe von acht Personen, die Einkommensgrundlage entzog. Auch im Privatsektor nehmen seit Beginn der Militärintervention Entlassungen rasant zu, denn immer wieder werden im Zuge des Krieges Fabriken angegriffen. Das Leid der Familien trägt zur Militarisierung der Gesellschaft und zum Anstieg sexueller Gewalt bei. Die internationale Gemeinschaft muss dringend handeln.
Die Huthis: Die dominante Kraft im Nordjemen
Die jüngste Eskalation hat zwei Ursachen. Die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Salehs durch die sogenannten Huthi-Rebellen am 4. Dezember 2017 und der Machtkonflikt im Süden des Jemen. Dort fechtet der Übergangsrat, der an der Spitze der Unabhängigkeitsbewegung "Hirak" steht, den Machtanspruch der international anerkannten Regierung an. Beides verschiebt die bisherigen Allianzen. Nach jahrelangen Machtpokern, verlieren die alten Eliten immer mehr an Einfluss. 2014 waren Saleh und die Huthis einen Pakt eingegangen, um ihre Positionen gegen den Übergangspräsidenten Hadi und seinen Verbündeten zu stärken. Nur wenige Tage vor dem Mord Salehs hatte dieser in einer Rede seinen Bund mit den Huthis aufgekündigt. Stattdessen hatte Saleh seine Bereitschaft erklärt, mit Saudi-Arabien zu verhandeln. Saleh galt lange Zeit als der mächtigste Strippenzieher im Jemen. Daher bestand die Hoffnung bei den Saudis und ihren Partnern in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die Huthis könnten mit der Hilfe Salehs besiegt werden. Dies hätte Saudi-Arabien den Weg zu einem gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Krieg geebnet.
Im Nordwesten und in der Hauptstadt sind die Huthis aktuell die alleinherrschende Macht. Die Huthis sind eine politisch-religiöse Bewegung, die ursprünglich aus der Region Saada an der Grenze zu Saudi-Arabien stammt. Zwischen 2004 und 2010 befanden sich die Huthis mit der Zentralregierung unter Saleh im Krieg. 2011 nahmen sie an den Protesten gegen Saleh teil und beteiligten sich nach seiner Absetzung am politischen Transformationsprozess. Doch die Teilung des Jemens in sechs föderale Regionen als zentrales Ergebnis der Nationalen Dialogkonferenz, die als Teil des Übergangsprozesses zwischen März 2013 und Januar 2014 stattfand, lehnten sie ab. Ab Anfang 2014 nahmen sie gewaltsam den Norden des Landes ein, bis sie schließlich im Herbst desselben Jahres die Hauptstadt erreichten. Im Februar 2015 zwangen sie schließlich die Übergangsregierung unter dem international anerkannten Präsidenten Abdu Rabo Mansour Hadi mit Gewalt vorübergehend zum Rücktritt.
Die Huthis verfügen heute über einen Großteil des staatlichen Militärarsenals. Sie gehen mit äußerster Härte gegen Saleh-Anhänger und andere potenzielle Oppositionelle vor. Dass sich die Huthis an Friedensgesprächen beteiligen, die ihre Gewinne seit ihrem Coup in Sanaa im September 2014 rückgängig machen könnten, ist unwahrscheinlich. Die saudische Allianz bemüht sich unterdessen das Machtgleichgewicht im Norden zu kippen und die Huthis so militärisch in die Knie zu zwingen.
Die Saudis verfehlen ihr Ziel; der jemenitische Staat zerfällt
Das erklärte Ziel der saudischen Intervention ist es, die Hauptstadt in die Hände der Hadi-Regierung zurückzuführen. Sie wollen den politischen Transformationsprozess wiederbeleben und gleichzeitig das Erstarken der Huthis hemmen. Saudi-Arabien sieht in den Huthis einen Stellvertreter Irans. Und das Königreich will um jeden Preis verhindern, dass sein regionaler Widersacher durch die Huthis Einfluss im benachbarten Jemen gewinnen könnte. Anders als oftmals behauptet, werden die Huthis nicht aus Teheran ferngesteuert. Fest steht allerdings, dass Kämpfer der Huthis durch die Iran-nahestehende libanesische Hizbollah ausgebildet werden und ein UN-Expertenbericht vermutet Iran hinter Lieferungen von Raketen(teilen) an die jemenitische Gruppe. Unbestreitbar ist ebenfalls, dass die Islamische Republik seit der Militärintervention im Jemen an Einfluss hinzugewonnen hat. Ihren Zielen konnte die Militärallianz auch nach knapp drei Jahren Krieg kaum näherkommen.
Im Sommer 2015 konnte die Militärkoalition Aden von den Huthis befreien; seitdem gilt Aden nominell als Hauptstadt der Hadi-Regierung. Dieser Standort ist jedoch alles andere als stabil. Denn in Aden ist die "Hirak", die Unabhängigkeitsbewegung des Südens die 2007 entstand, stark präsent. Heute fordert sie, auf Grundlage des ehemals unabhängigen südjemenitischen Staates, erneut eine Zweiteilung des Jemen. Der Südjemen vereinigte sich erst 1990 unter Ali Abdullah Saleh mit dem Norden. Entsprechend erkennt der "Hirak" die Ergebnisse des Nationalen Dialogs (2013-2014), also die Einteilung des Jemens in sechs Regionen, nicht an. Die Bewegung versteht die Hadi-Regierung als Teil der nordjemenitischen Elite, von der sie und der Süden sich abspalten möchte. Seit der Militärintervention wird die "Hirak"-Bewegung von den VAE unterstützt. Dies gab ihren Bemühungen, einen unabhängigen Süden zu schaffen, Auftrieb. Im Frühjahr 2017 gründeten sie den Übergangsrat des Südens. Dieser erhebt nun den Machtanspruch über den ganzen Süden. Damit steht Hadi heute noch schwächer da als zu dem Zeitpunkt, an dem er den Golfkooperationsrat um militärische Hilfe gegen die Huthis bat. Und bereits damals genoss er im Jemen kaum Legitimität.
Wie weiter im Jemen?
Mit den aktuellen Entwicklungen wird es immer schwieriger, eine politische Lösung im Rahmen eines einheitlichen Nationalstaats zu finden. Der bisherige UN-Sondergesandte, Ismail Ould Sheikh Ahmed, tritt mit dem Ende seines Mandats diesen Monat zurück; seine Nachfolgerin oder Nachfolger steht vor einer beinahe unlösbaren Aufgabe. Sie oder er müsste ein neues Gesprächsformat entwickeln, das den realen Machtverhältnissen am Boden entspricht. Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft müssen außerdem neutral bleiben. Und sie müssen alle wichtigen Akteure, die im Jemen die Konfliktdynamik beeinflussen, einbinden: Neben den Huthis sind das auch Saudi-Arabien, die VAE, und die Hirak-Bewegung. Die Vermittler müssen die schwache Position der Hadi-Regierung akzeptieren und eine geeignete Gesprächsgrundlage schaffen. Die derzeitige Forderung, die Huthis müssen UN Resolution 2216 umsetzen, das heißt Rückzug aus staatlichen Institutionen und das Niederlegen ihrer Waffen, ist unter den gegenwärtigen Machtrealitäten eine unrealistische Vorbedingung für Gespräche.
Auch wenn derzeit eine politische Lösung schwierig erscheint, muss das Leid der Menschen im Mittelpunkt des Lösungsansatzes der internationalen Gemeinschaft stehen. Zusammen mit ihren Partnern in der EU muss sich die Bundesrepublik dafür einsetzen, dass Handel, sowie die Einfuhr von Hilfsgütern in den Jemen reibungslos abgewickelt werden können, um Millionen von Menschen vor dem Hungerstod zu bewahren. Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass Saudi-Arabien die Autorität über die Kontrolle der Einfuhrgüter und Verhinderung des Waffenschmuggels vollständig an den dazu eingeführten, und unter anderem von der EU finanzierten, UN-Mechanismus übergibt.
Die Einigung zwischen Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen über einen sofortigen Lieferstopp von Waffen an Staaten, die unmittelbar am Jemenkrieg involviert sind ist bemerkenswert. Noch im Jahr 2017 hat die Bundesrepublik Rüstungsgüter im Wert von 130 Millionen Euro an die VAE und Saudi-Arabien geliefert. Dies ist vor der Menschrechtssituation in den Golfstaaten selbst bedenklich, vor allem aber in Hinblick auf die systematische Missachtung von Menschenrechten im Jemen. Immer wieder greift die Koalition zivile Einrichtungen an und hat den Tod von Zivilistinnen und Zivilisten zu verantworten. Berichten von Human Rights Watch zufolge nutzen die VAE brutale Folterpraktiken in von ihnen geführten geheimen Gefängnissen im Südjemen. Ein sofortiger Ausfuhrstopp an die Golfstaaten wäre ein guter Schritt und richtet ein wichtiges Zeichen an andere westliche Staaten, insbesondere den USA, Großbritannien und Frankreich, die noch immer die saudische Koalition politisch und militärisch unterstützen.
Außerdem sollte sich die Bundesrepublik und ihre Partner in der EU für den Schutz von jemenitischen Journalistinnen und Journalisten und politisch Verfolgte im Jemen einsetzen. Seit Beginn ihrer Herrschaft regieren die Huthis mit eiserner Hand und scheuen nicht vor Menschenrechtsverbrechen zurück: ihre politischen Gegner werden regelmäßig entführt, verhaftet oder ermordet.
Dieser Beitrag erschien zuerst online bei der Heinrich Böll Stiftung.