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Jannis Grimm: "Menschenrechte in Ägypten: Die ausgeblendete Krise"

Source: www.boell.de

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Hintergrund: Am 12. Juni kommt der ägyptische Staatschef Al-Sisi nach Berlin. Von der Bundesregierung wird er als wichtiger Partner wahrgenommen. Obwohl in Ägypten Nichtregierungsorganisationen verboten, Oppositionspolitiker verhaftet, Medien zensiert und der "Kampf gegen den Terrorismus" jenseits aller Konventionen geführt wird."

 

Trotz massiver Kritik an der Menschenrechtslage in seinem Land, wird der ägyptische Staatschef Al-Sisi am 12. Juni zur G20-Afrika Partnerschaftskonferenz in Berlin erwartet. Für den umstrittenen General ist dies bereits die zweite Reise in die Bundeshauptstadt. Zuletzt war er 2015 mit militärischen Ehren im Kanzleramt und in Schloss Bellevue empfangen worden.

Mit dem Besuch dürfte der General gemischte Gefühle verbinden: Zwar läutete seine letzte Reise, nach zwei Jahren Eiszeit, die Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen zwischen Berlin und Kairo ein. Gleichzeitig wurde sie von massiver Kritik an der ägyptischen Repressionspolitik begleitet: Menschenrechtsorganisationen appellierten im Vorfeld an die Bundesregierung, die Gespräche abzusagen oder zumindest substantielle Reformen zu fordern.

Wissenschaftler/innen mahnten eine Konditionierung der Gespräche an Stabilisierungsmaßnahmen an. Bundestagspräsident Lammert verweigerte Al-Sisi ein Treffen – aus Solidarität mit seinem zum Tode verurteilten ehemaligen ägyptischen Amtskollegen. Und schließlich endete auch die gemeinsame Pressekonferenz mit Kanzlerin Merkel in einem Eklat, als eine oppositionelle Journalistin im Publikum Al-Sisi des Mordes bezichtigte.

Der Wunsch nach außenpolitischer Normalisierung

Seitdem haben sich die Zustände in Ägypten kaum verbessert. Im Gegenteil: Durch die Normalisierung der Beziehungen zu Europa ist der Druck auf die Führung in Kairo gesunken, von seiner Repressionsstrategie abzuweichen. Obgleich Merkel bei ihrem Kairo-Besuch im März dieses Jahres für Rechtstaatlichkeit und eine pluralistische Zivilgesellschaft warb, sind liberale Reformen und die Achtung von Menschen- und Bürgerrechten weder Vorbedingung noch treibende Kraft der neuen außenpolitischen Zusammenarbeit.

Diese steht vielmehr ganz im Zeichen von Sicherheitskooperation, Investitionsinteressen europäischer Großkonzerne und der Prävention unkontrollierter Migration nach Europa. Dementsprechend war auch der im November 2016 an Ägypten gewährte IWF-Kredit von 12 Milliarden US-Dollar, der zur Aufrechterhaltung von Kairos Zahlungsfähigkeit dringend gebraucht wurde, nur nominell an sozio-politische Reformen geknüpft und enthielt keine Auflagen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation. Auch in bilateralen Abkommen, wie etwa der Ende April vom Bundestag beschlossenen Deutsch-Ägyptischen Sicherheitskooperation, sind Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte eher kosmetischer Natur.

Eine akute Menschenrechtskrise

Das Ergebnis: Auf dem Sinai wird der ägyptische „Kampf gegen den Terrorismus“ zunehmend unter Missachtung jeglicher Kriegsrechtskonventionen geführt. Nach Massenvertreibungen und der Inkaufnahme ziviler Opfer bei Militäroperationen, kursierten zuletzt Aufnahmen ägyptischer Soldaten, die unbewaffnete Gefangene exekutierten. Gleichzeitig steigen sowohl die Opferzahlen jihadistischer Gewalt, wie auch militärischer Vergeltungsschläge. Im Niltal sind dagegen vor allem Oppositionelle, Menschenrechtler/innen und die kritische Presse vom Kampf gegen den Terror betroffen.

Die staatliche Terrorismus-Definition wurde seit 2015 graduell ausgedehnt, sodass heute jegliche regimekritische Akteur/innen zum Schutz der „öffentliche Ordnung“ und der „nationalen Einheit“ durch die Sicherheitskräfte verfolgt werden können. Dies hat den Spielraum für eine kritische Zivilgesellschaft massiv beschränkt: Unabhängige Gewerkschaften stehen vor dem aus, die federführenden Organisator/innen von Straßenprotesten (etwa die April 6 Jugendbewegung) sind verboten und unliebsame Parteien wurden aufgelöst. Seit Ende 2013 gilt zudem ein Demonstrationsgesetz, welches das Streik- und Versammlungsrecht einschränkt und alle kollektiven Aktionen einer polizeilichen Genehmigungspflicht unterstellt.

Mit Blick auf die 2018 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Ägypten verschärfte sich zuletzt auch die Rhetorik und die staatlichen Repressalien gegen die wenigen verbliebenen Oppositionsparteien. Seit Anfang des Jahres wurden mindestens 36 Oppositionspolitiker festgenommen. Offenbar mit dem Ziel, jegliche Konkurrenz für den amtierenden Präsidenten auszuschalten. Im Mai wurde der liberale Anwalt und Gründer der Brot und Freiheit-Partei Khaled Ali wegen „Verletzung öffentlicher Moral“ angeklagt. Aufgrund seiner Popularität bei der Revolutionsjugend galt dieser als potentieller Gegenkandidat zu Al-Sisi.

Überdies endet die Verfolgung von Regimekritiker/innen längst nicht mehr an der ägyptischen Staatsgrenze: Einige europäische Hauptstädte werden mittlerweile von ägyptischen Aktivist/innen gemieden, seit sich aus Berlin, Rom, London oder Istanbul die Berichte über ein aggressives Monitoring regimekritischer Aktivitäten durch die ägyptischen Auslandsvertretungen häufen. Unlängst geriet etwa ein EuroMedRights Menschenrechts-Workshop in Rom ins Visier der Staatssicherheit. Diese ließ die Teilnehmer beschatten und überzog sie in den ägyptischen Medien mit einer Schmutzkampagne.

Beugungshaft, Zwangsverschleppungen und Exekutionen

Regimekritiker/innen sind immer häufiger auch von außergesetzlicher Staatsgewalt betroffen: Willkürlich festgesetzte Beugungshaft, Zwangsverschleppungen und Exekutionen gehören inzwischen zum repressiven Repertoire des Sicherheitsstaats. Seit dem Militärputsch 2013 sind zudem mindestens 124 Häftlinge durch Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen. Die Zahl politischer Gefangener in Ägypten ist in den letzten zwei Jahren von zuvor ohnehin 40.000 auf nun mindestens 60.000 angestiegen. Viele von ihnen sitzen ohne rechtskräftige Verurteilung in ägyptischen Gefängnissen. Prozesse enden regelmäßig in lebenslangen Haftstrafen oder sogar mit Todesurteilen. Häufig werden die Urteile in Massenprozessen durch gesonderte Militärtribunale verhängt.

Seit Al-Sisis Amtsübernahme wurden auf diese Weise mehr als 7.400 Zivilisten abgeurteilt. In Scheinprozessen wurden über 700 Todesurteile gesprochen. Wo die Beweislage trotz des engen juristischen Korsetts für politisches Handeln nicht zur Verurteilung ausreicht, wird Regimekritikern der Zugang zum öffentlichen Diskurs über willkürlich ausgedehnte Untersuchungshaft verwehrt.

Während die systematische Beschneidung von Freiheitsrechten seit der Machtübernahme durch das Militär bei internationalen Menschenrechtsorganisationen ein Dauerthema ist, erfährt es in Ägypten selbst außerhalb von informierten Elitenzirkeln wenig Resonanz. Dies liegt nicht zuletzt an einer konzertierten Aus- und Gleichschaltung all der zivilen Kräfte, die traditionell eine kritische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung wahrnahmen.

Die Aus- und Gleichschaltung der Medien

Journalist/innen und Blogger/innen sind hiervon ebenso betroffen wie Nichtregierungsorganisationen. Ägypten rangiert bezüglich der Pressefreiheit auf Platz 161 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Mindestens 25 Reporter sind in Haft, freie Meinungsäußerung in öffentlichen Medien ist praktisch nicht mehr möglich.

Überdies beschränken die Behörden unter dem Vorwand der Terror-Bekämpfung schrittweise den Medienpluralismus: Bereits kurz nach dem Militärputsch 2013 wurden Dutzende islamistische Fernsehsender und Zeitungen als angebliche Terrorismus-Unterstützer zwangsgeschlossen. Unter demselben Vorwand ist seit Ende Mai dieses Jahres der Zugang zu weiteren 21 Online-Nachrichtenportale in Ägypten gesperrt. Zu den von kompletten oder Teilsperren betroffenen Seiten zählen, neben der als islamistisches Sprachrohr verschrienen arabischen Version der Huffington Post, auch Al-Jazeera, das Aswat Masriya Portal von Thompson Reuters, sowie das unabhängige Journalistenkollektiv Mada Masr.

Den Anlass für die jüngste Zensurwelle bot ein brutaler Anschlag des ägyptischen IS-Ablegers auf einen koptischen Reisebus am 23. Mai. Er versetzte das Regime nicht nur in die Lage, den bestehenden Ausnahmezustand neu zu begründen, sondern auch im Namen der nationalen Sicherheit neue Gesetze gegen kritische Stimmen zu erlassen.

Hierzu zählen auch die etwa zwei Duzend Menschenrechtsorganisationen, die in den vergangenen Jahren eine Führungsrolle im Kampf um Übergangsgerechtigkeit und eine Sicherheitssektorreform einnahmen. Diese müssen sich zukünftig registrieren und ihre Aktivitäten, Studien und Umfragen von den staatlichen Behörden genehmigen lassen - vorgeblich zur Kontrolle etwaiger extremistischer Aktivitäten.

Gleichzeitig erhalten die ägyptischen Behörden umfassende Mitbestimmungsrechte bei ihrer Finanzierung und der Personalpolitik. Bestehende NGOs haben ein Jahr Zeit, sich den Bestimmungen zu unterwerfen, bevor sie gerichtlich aufgelöst werden. Verstöße gegen die neuen Bestimmungen werden mit bis zu fünf Jahren Haft und empfindlichen Geldstrafen geahndet.

Das entsprechende Gesetz Nr. 70/2017, das vom Parlament bereits im Vorjahr verabschiedet, aber erst jetzt ratifiziert wurde, stellt indes nur den letzten Schritt in einer konzertierten Kampagne gegen unabhängige Beobachter der Regierungspolitik dar. Bereits zuvor waren Menschenrechtler von nahezu allen unabhängigen Organisationen im Land unter absurden Vorwürfen verhaftet oder mit Ausreisesperren belegt worden, zuletzt Mohamed Zarea vom Cairo Institute for Human Rights Studies und Mustafa el-Hassan vom Hisham Mubarak Law Center. Insgesamt sind mittlerweile 24 Organisationen von Reiseverboten betroffen; sieben von Kontosperren.

Düstere Aussichten für Stabilität und Entwicklung

Bei der kommenden Konferenz zur G20-Afrika-Partnerschaftsinitiative dürfte das Schlaglicht indes nicht auf der ägyptischen Menschenrechtskrise liegen. Auf dem Programm stehen vorwiegend wirtschaftliche Konsultationen, offizielle Regierungstreffen sind nicht geplant. Überdies hat sich ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt, weswegen Menschenrechtsverletzungen am Nil heute ein deutlich geringeres Medienecho erfahren als während Al-Sisis letztem Besuch in Berlin.

Dies bedeutet indes nicht, dass die Menschenrechtsthematik gegenüber anderen Politikfeldern an Dringlichkeit verloren hat. Im Gegenteil: Die Regierung in Kairo kann derzeit weder ein effektiver Partner im internationalen Kampf gegen den Terrorismus sein, da ihre brutale Repressionspolitik Radikalisierung befördert. Gleichzeitig werden wirtschaftliche Entwicklungs- und Stabilisierungsprogramme im Land nur greifen, wenn die gesellschaftliche Polarisierung überwunden wird und rechtstaatliche Standards zu Investitionssicherheit beitragen.

Vor diesem Hintergrund müssten konkrete Forderungen nach Garantien für eine freie und unabhängige Zivilgesellschaft – eigentlich – auch im Zentrum der Diskussionen um privates Investment und Infrastrukturprojekte im Rahmen einer G20-Afrika Partnerschaftsinitiative stehen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst online bei der Heinrich Böll Stiftung.