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1. Mai - Berlin Kreuzberg

An inner monologue by Oriana Gaetaniello. Presented at the Long Night of Science 2015 during the presentation „Das wird man wohl noch sagen dürfen!“

Jul 02, 2015

1. Mai – Berlin Kreuzberg. Ich lerne die Freundin eines Bekannten kennen, wir führen Small-Talk. Ich erfahre, dass sie Sozialpädagogin ist und ich drücke meinen Respekt für ihre Arbeit aus. Auf die Frage, was ich beruflich mache, antworte ich, dass ich in Islamwissenschaft promoviere. Ihre Augen weiten sich, es kommt erst ein ungläubiges "Ok…" und dann: "Und wofür braucht man das?" Auf diese Frage bin ich schon vorbereitet, denn sie wird mir seit Bachelor-Zeiten immer wieder gestellt. Meine Erfahrung damit zeigt, dass Islamwissenschaft oft mit Koranschule verwechselt wird, also halte ich meinen üblichen Vortrag darüber, was in meinem Studium wirklich behandelt wird und bereite mich innerlich schon auf die nächsten Fragen vor, die in der Regel folgen: "Was wird man denn damit?", "Wie ist denn das jetzt eigentlich mit ISIS?" oder "Kommst du da aus der Gegend?" – was auch immer das heißen mag. Aber diese Fragen kommen nicht. Nein, meine neue Bekanntschaft fragt mich, ob ich mich denn als Frau in einem solchen Fach durchsetzen könne.

Ich verstehe die Frage nicht und hake nach: "Wie meinst du das, durchsetzen? Als Frau?" Ich meine in ihren Augen zu lesen, dass sie vielleicht gemerkt hat, dass sie sich etwas differenzierter ausdrücken könnte, aber sie erklärt: "Naja, DIE haben doch so ein schlechtes Bild von Frauen und respektieren sie nicht. Warum sollten DIE dann auf dich hören?" Ich bin sehr irritiert und weiß nicht, wo ich mit meiner Antwort anfangen soll. Ich beginne damit, den Unterschied zwischen Muslimen und Islamwissenschaftlern zu erklären, schildere den Alltag an meiner Graduate School und berichte ihr von interessanten Projekten meiner Kolleginnen und Kollegen, damit sie sich ein Bild der Themen machen kann, die wir behandeln und damit ihr klar wird, dass das Geschlecht dabei überhaupt keine Rolle spielt. Ich entscheide mich bewusst dagegen, sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit ihrer Aussage, DIE hätten keinen Respekt vor Frauen eine starke Verallgemeinerung ausdrückt, die naturgemäß der Realität nicht gerecht werden kann. Ich deute diesen Gedanken nur an und versuche, das Thema zu wechseln. Ich will nicht wie ein Oberlehrer wirken auf diese Frau, die ich erst vor wenigen Minuten kennengelernt habe.

Auf dem Heimweg frage ich mich, ob es nicht ein Fehler war und es nicht besser gewesen wäre, ihr doch einen Vortrag über die Gefahr solcher Pauschalaussagen zu halten. Ist das meine Aufgabe als Islamwissenschaftlerin? Auch am Feiertag? Vermutlich schon, aber es soll mir auch gestattet sein, das Ganze zu verkürzen, wenn ich es zu einem bestimmten Zeitpunkt für unpassend halte. Vielleicht kann mich ich ja mal an anderer Stelle in Ruhe mit ihr darüber unterhalten.

Es sind aber auch andere Gedanken, die diese Unterhaltung ausgelöst hat und die mich über den 1. Mai hinaus beschäftigen: Ist es nun soweit, dass nicht nur DIE muslimische Frau als unterdrückt wahrgenommen wird, sondern auch eine Frau, die in der Islamwissenschaft tätig ist? Wie kommt man darauf? Eine BWL-Studentin sieht sich wohl kaum mit solchen Fragen konfrontiert, obwohl doch allgemein bekannt ist und immer wieder öffentlich diskutiert wird, dass wir von einer Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Wirtschaft noch weit entfernt sind... Stichwort Frauenquote.

Eines habe ich aus diesem Vorfall gelernt: Sei stets gewappnet für die absurdesten Fragen. Nur wie ich damit umgehen soll, ohne den Zeigefinger zu erheben, das weiß ich immer noch nicht…